Ethik in der Kunsttherapie

1. Ethik als Grundlage menschlicher Ordnungen

Mit den Fragen der Ethik setzt sich die Menschheit seit jeher auseinander. Ethik befasst sich mit dem individuell verankerten Wertekatalog, welcher sich im sozialen Miteinander auswirkt. Deshalb ist Ethik ein Teil vor allem jener Disziplinen, die sich mit den Bedingungen, Entwicklungen und Möglichkeiten menschlichen Daseins, Zusammenlebens und Orientierung im Zeit-Raum-Kontinuum beschäftigen. Eine dieser Disziplinen ist die Kunsttherapie.

2. Ethik im Spannungsfeld zwischen Innehalten und Bewegung

Einerseits ist ethisches Handeln als bedingendes System des menschlichen Zusammenlebens bereits vorhanden, als ein inneres Bestreben mit dem Du auszukommen. Andererseits muss Ethik durch Annäherung, Erforschung, Erziehung und Erfahrung erlernt, integriert und gelebt werden. Ethik an sich ist weder gut noch schlecht. Es ist die freie Entscheidung des Individuums diese zu bewerten und misst sich an der Freiheit und dem Wohl des Anderen, des Mitmenschen.

3. Ethik als wesentliches Strukturelement untrennbar mit Kunsttherapie verbunden

Ethik ist ein wesensmäßiger Teil der Kunsttherapie, sie ist sogar Bedingung. Grundsätzlich den ethischen Prinzipien von Gleichheit, Achtung und Wahrhaftigkeit gegenüber dem Mitmenschen verpflichtet, erweitert sich der Kanon für den Kunsttherapeuten um jene Werte und Normen, die er im Rahmen seiner Aus- und Weiterbildung erwirbt und vertieft. Dieser wird von ihm in seinem kunsttherapeutischen Sein vertreten und verantwortet.

4. Ethik-Richtlinien des/r KunsttherapeutIn im ÖFKG

Unter Rücksicht auf die kunsttherapeutische Besonderheit einer Dreifachbeziehung (Triade) zwischen Klient – Kunsttherapeut – künstlerischer Gestaltung und bei weitgehender Anlehnung an den Berufskodex des geltenden Österreichischen Psychotherapiegesetzes ist auf die Einhaltung von Richtlinien zu achten, die auf dem Muss und Soll eines ethischen Verhaltens in Ausübung des kunsttherapeutischen Berufes gründen. Dies dient zur Orientierung für das professionelle Verhalten des Therapeuten, dessen Schutz und gleichermaßen dem Schutz des Klienten.

Zu den allgemeinen Ethik-Richtlinien des/r KunsttherapeutIn zählen:

  • Verbindlichkeit unseres Menschenbildes

„Das Leben wird als heilig bewertet; darin drückt sich ein universeller menschlicher Wert der Achtung für das Individuum aus.“ Diese Aussage von Laurence Kohlberg (1995) steht für Respekt und Wertschätzung dem Leben gegenüber. Sie zielt auf unsere grundlegende Einstellung als ethisch handelnde Menschen gegenüber den Auswirkungen unserer Handlungen auf andere und auch auf uns selbst ab.

Wir begegnen dem Individuum in seinem Menschsein, in seiner Gegebenheit und seiner Möglichkeit, aus den ihm wesensmäßig mitgegebenen Bedingungen und aus dem Umfeld, in dem er sich bewegt und aus dem er kommt, sich selbst und sein Leben zu begreifen und zu gestalten.

Wir begegnen dem Individuum nicht als bloßem Träger von Krankheit, Störung oder sonstigen Etikettierungen.

  • Verpflichtung zu Eigenverantwortlichkeit

Verantwortung für das eigene Handeln oder das Unterlassen von Handlungen übernehmen und tragen zu können, erfordert die Ausformung und Pflege des Gewissens als Entscheidungsinstanz und Vergleichsmaßstab auf der Basis eines gewachsenen Wertesystems.

Dies bedeutet für den Kunsttherapeuten das Erkennen der eigenen Grenzen (Gefahr der Selbstüberschätzung, Verkennen der Situation ...), der Grenzen des Anderen, aber auch das Erkennen der Grenzen von Kunsttherapie selbst.

Dazu braucht es ein gültiges Wertesystem, und setzt das Regelbewußtsein des Therapeuten voraus. Das Gewissen verleiht Sicherheit in jeder Entscheidung, z.B. ob er kurzfristig die Rolle des Gewissens stellvertretend für den Klienten übernehmen darf, ob etwa eine geplante Intervention gut oder schlecht für den Klienten ist.

  • Verpflichtung zur Erlangung der fachlichen Kompetenz durch eine standardisierte, qualifizierte Aus-, Weiter- und Fortbildung

Die Verpflichtung bezieht sich auf das Erlernen der nötigen Kompetenz in einer qualifizierten Aus- und/oder Weiterbildungsbildungseinrichtung mit psychologischen, medizinischen, pädagogischen, künstlerischen und sonstigen Schulungen, soweit sie für das Berufsbild relevant sind, dem Curriculum der Disziplin entsprechen und den gültigen Wissenschaftsstandards folgen.

Der Beruf eines Kunsttherapeuten kann nicht durch Intuition, Glauben, Erfühlen, Spüren allein angeeignet werden, auch wenn diese Fähigkeiten im therapeutischen Geschehen wichtig sind. Die Bedeutung des Studiums besteht in dem umfassenden Erwerb eines theoretischen Bezugsrahmens, in ausreichender Selbsterfahrung, fachlicher Auseinandersetzung und in praktischer Anwendung der gewonnenen und vermittelten Erfahrungen durch die Integration wissenschaftlicher und praxisnaher Informationenen und Einsichten.

  • Offenlegung der Bedingungen der Therapeutischen Beziehung und deren Grenzen

Die Offenlegung bezieht sich auf das Therapeutische Setting, welches störungsfrei, in seinem Ablauf betreffend Zeit, Dauer und Ort klar strukturiert sein sollte, um für den Klienten die größtmögliche Sicherheit zu bieten.

Ferner ist auf die Modalitäten der Bezahlung zu achten, die den guten Sitten entsprechen sollten.

Der Therapeutische Vertrag kann schriftlich oder mündlich erfolgen und regelt das Zusammenarbeiten von Kunsttherapeut und Klient in einer für beide Seiten verbindlichen Form.

  • Verpflichtung zur Wahrung des Vertrauensverhältnisses

umfassende Verschwiegenheit entsprechend dem österreichischen Psychotherapie- Gesetz.

Prinzipiell sind mit dem Klienten bereits zu Beginn der Therapie die Grenzen der Verschwiegenheit abzuklären. Dabei sollten Alter oder Lebensumstände des Klienten mitberücksichtigt werden.

  • Verpflichtung zur begleitenden Supervision

Die Verpflichtung bezieht sich auf Supervision durch einen entsprechend ausgebildeten Supervisor zur Unterstützung der nötigen Reflexion des therapeutischen Prozesses. Sie dient der Erweiterung und Überprüfung der eigenen Professionalität und Haltung und einer eventuellen Korrektur von möglichen, den Therapieverlauf blockierenden oder fehlerhaften Einstellungen.

  • Verpflichtung zur Wahrung der Klientenrechte

Jeder Klient hat Anrecht auf Wahrung seiner psychischen und physischen Integrität und Unversehrtheit im Rahmen des therapeutischen Geschehens. Diesem Anspruch sind alle anderen Interessen ethisch zu unterordnen und mit dem eigenen Gewissen zu vereinbaren.

Die Wahrung der Klientenrechte bietet wechselseitigen Schutz vor Abhängigkeiten, die sich aus unlauteren Motiven, finanzieller oder emotionaler Ausbeutung ergeben können; weiters vor Missbrauch und Schaden jeglicher Art.

Der Schutz des Intimbereichs des Klienten hat absoluten Vorrang und ist als Bedingung für das Entwickeln und Halten der therapeutischen Beziehung entsprechend der berufsspezifischen und rechtlichen Grundlagen einzuhalten.

  • Verpflichtung den Klienten in Dokumentationen zu schützen

Die Dokumentation unterscheidet sich prinzipiell nach Struktur und nach Inhalt.

Die Struktur der in Anspruch genommenen Therapie muss nach aussen hin einsichtig sein, um Frequenz, Dauer, Verlässlichkeit, Kontinuität gegenüber Ämtern und Behörden nachweisen zu können.

Die gesonderten inhaltlichen Aufzeichnungen (dazu gehören auch Fotos, Videos, Tonaufnahmen ...) dienen dazu, die Reflexion zu unterstützen, den Transfer zu erleichtern und Irrtümer, Fehleinschätzungen oder fiktive Ergänzungen/Ersetzungen zu vermeiden.

  • Fortlaufende Auseinandersetzung mit und Teilnahme an Forschung/Diskurs in der Wissenschaft

Sie umfasst die eigenständige Auseinandersetzung und das Interesse an allgemeiner Kunsttherapie im nationalen und internationalen Raum. Neue Strömungen, Weiterentwicklungen und Denkansätze sollten ebenso wie zusätzliche geeignete Techniken in Abstimmung mit dem persönlichen Arbeitsstil und in Vereinbarkeit mit der ethischen Grundhaltung des Therapeuten berücksichtigt werden.

Zu den besonderen Richtlinien des Kunsttherapeuten zählen:

  • Verantwortung und Gestaltung der kunsttherapeutischen Beziehung

betont die gleichwertige Einbeziehung der im konkreten Prozess entstandenen künstlerischen Arbeit im Sinne einer Triade; z.B. Verantwortung gegenüber der Gestaltung als Drittbeteiligte am Geschehen.

  • Kontinuierliche Auseinandersetzung mit allen möglichen Bereichen von Kunst

setzt eigene künstlerische Betätigung verpflichtend voraus, um dem triadischen Anspruch gerecht zu werden. Der Dialog mit den Werken und Personen anderer Künstler und die daraus resultierende Anreicherung an Ideen, Möglichkeiten und Fragestellungen, die sich im künstlerischen Gestalten darbieten, ist Voraussetzung für kunsttherapeutisches Arbeiten.

  • Kollegiale Zusammenarbeit und Kooperation mit Angehörigen der eigenen Berufsgruppe (inklusive Auszubildender) und angrenzender Berufe

Das Unterwandern von Autorität, Abwerben von Klienten, Verletzen der Schweigepflicht, Abwerten von Kollegen, Auszubildenden, oder Angehörigen anderer Berufe sind zu unterlassen. Bei begründeter Kritik, Schwierigkeiten und anderen Vorkommnissen empfiehlt sich die Rücksprache mit den entsprechenden Ebenen der Zuständigkeit.

  • Wahrung und Umsetzung der genannten Richtlinien

Durch Beachtung dieser Richtlinien lassen sich Verwässerungen, Vermischungen und fragwürdige Praktiken vermeiden, die dem Klienten und dem Ansehen der Kunsttherapie schaden können.

Autorinnen: Johanna Feest und Maria Haas

Arbeitsgruppe: Johanna Feest, Maria Haas, Ludwiga Drucker, Irmgard Maria Starke, Ruth Maria Mayer

 

Literaturhinweise:

  • Bauer, Joachim, (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Verlag Hoffmann und Campe.
  • Dannecker, Karin, (2003): Die Wirksamkeit der Werte – Ethik in der Kunsttherapie. Karin Dannecker (Hg.), Internationale Perspektiven der Kunsttherapie. Nausner & Nausner Verlag, Graz, 2003:27-53.
  • Kohlberg, L., (1995): Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt am Main. Suhrkamp Taschenbuch
  • Piaget, J., (1973): Das moralische Urteil beim Kinde. Frankfurt am Main. Suhrkamp Taschenbuch

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